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"Der Hitler-Stalin-Pakt wirkt bis heute nach: So will Russland die Geschichte umschreiben"

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  • vor 5 Tagen
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Repost des Gastbeitrages von Alda Vanaga, Botschafterin der Republik Lettland, im deutschen Tagesspiegel



Hitler-Deutschland und Stalins Sowjetunion teilten vor 86 Jahren Osteuropa in Einflusszonen auf. Auch Lettland verlor seine Unabhängigkeit. Heute greift Moskau wieder die Friedensordnung an.


In Gesprächen mit deutschem Publikum überrascht mich immer wieder, wie wenig Aufmerksamkeit hierzulande dem 23. August 1939 gewidmet wird.


An diesem Tag unterzeichneten das nationalsozialistische Deutschland und die stalinistische Sowjetunion den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt – einen Nichtangriffsvertrag, dessen geheimes Zusatzprotokoll die Aufteilung Osteuropas in Einflusszonen festschrieb.


Diese Vereinbarung ebnete nicht nur den Weg für Hitlers Angriff auf Polen eine Woche später, sondern prägte das Schicksal Ost- und Mitteleuropas für die kommenden 50 Jahre – mit Folgen, die bis heute nachwirken.


Doppelte Besatzung

Die Republik Lettland wurde am 18. November 1918 gegründet. In den 1920er und 1930er Jahren entwickelte sich das Land zu einemstabilen, wirtschaftlich erfolgreichen Staat mit starkem Agrarsektor und bemerkenswert hohem Bildungsniveau. Diese positive Entwicklung endete abrupt mit dem Einmarschsowjetischer Truppen 1940. Ein Jahr später erlebte Lettland die Besatzung durch die Wehrmacht, ab 1944 setzte erneut die sowjetische Herrschaft ein. Damit endete der Zweite Weltkrieg in Lettland eigentlich erst 1990mit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit. Nach dem Krieg betrieb die Sowjetunion eine gezielte Politik der Russifizierung. Sie brachte massive gesellschaftliche und demografische Umwälzungen. In zwei großen Deportationswellen – 1941 und 1949 – wurden mehr als 60.000 lettische Bürgerinnen und Bürger, darunter auch Juden, Deutsche und andere Minderheiten, in sowjetische Arbeitslager verschleppt.


Lettlands Russifizierung

Die lettische Sprache wurde aus Verwaltung und öffentlichem Leben verdrängt, Führungspositionen überwiegend mit russischsprachigen Funktionären besetzt. Lettische Schulen wurden geschlossen oder ideologisch umgestaltet, der Unterricht zunehmend auf Russischgeführt – mit dem Ziel, die nationale Identität der Letten systematisch zu schwächen.


Im Jahr 1935 lebten in Lettland rund 1,95 Millionen Menschen, etwa drei Viertel davon ethnische Letten. Nach der Unabhängigkeit 1990 war die Bevölkerung auf über 2,6 Millionen angewachsen, doch der Anteil ethnischer Letten war auf etwa 50 Prozent gesunken.


60.000 Letten wurden zwischen 1941 und 1949 in sowjetische Arbeitslager verschleppt. Rund 600.000 Bürger aus der Sowjetunion – vor allem Russen – kamen während der Besatzungszeit und blieben nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit dauerhaft im Land.


Russlands Propaganda

Heute nutzt Russland diese sowjetische Vergangenheit gezielt für seine Propaganda. Über staatlich kontrollierte Medien und digitale Kanäle verbreitet es das Narrativ, die russischsprachige Minderheit in Lettland werde unterdrückt. Diese Darstellung richtet sich nicht nur an das baltische Publikum, sondern gezielt auch an westliche Gesellschaften – mit dem Ziel, antieuropäische Ressentiments zu schüren, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und die sicherheitspolitische Geschlossenheit der Nato zu schwächen.


Die sowjetische Besatzung wurde vom Westen nie völkerrechtlich anerkannt. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit konnte Lettland seinen Staat rasch wiederaufbauen. Die Mitgliedschaft in der EU und der Nato ermöglichte einen historisch beispiellosen Aufstieg.


Heute zählt Lettland nicht nur zu den stabilsten Demokratien Europas, sondern gilt in Bereichen wie Digitalisierung, Steuersystem, Gleichberechtigung, Wettbewerbsfähigkeit und erneuerbare Energien als Vorreiter.


Die bewusste Umschreibung historischer Ereignisse hat mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine neue, gefährliche Dimension erreicht.


Solidarität mit der Ukraine

Die Sowjetunion existiert nicht mehr. Doch Präsident Wladimir Putin verfolgt offen das Ziel, Russland als Großmacht wiederherzustellen. Laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums ist Josef Stalin heute die populärste historische Figur in der russischen Gesellschaft.


Die Ukraine ist ein zentrales Element in Putins geopolitischem Plan. In den von Russland besetzten Gebieten sehen wir heute ein erschreckend ähnliches Muster wie einst im Baltikum. Genau deshalb stehen wir Letten in tiefer Solidarität an der Seite der Ukrainer.



Quelle: Der Tagesspiegel, Artikel „Der Hitler-Stalin-Pakt wirkt bis heute nach: So will Russland die Geschichte umschreiben“, erschienen am 23. August 2025, online unter: https://www.tagesspiegel.de/internationales/der-hitler-stalin-pakt-wirkt-bis-heute-nach-so-will-russland-die-geschichte-umschreiben-14193560.html

 
 
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